Eine fehlerhafte Annahme bei der DNA-Analyse, ein zerstörtes Leben und der Kampf gegen ein totalitäres System – diese düstere und zugleich fesselnde Szenerie zeichnet Corpus Delicti nach, welches als Pflichtlektüre im Abitur neue Impulse setzt.
Im Mittelpunkt steht die Geschichte einer jungen Frau, die sich aus Liebe zu ihrem unschuldig verurteilten Bruder in den Widerstand gegen das Regime einer Gesundheitsdiktatur stürzt. Anhand dieses packenden Plots wirft das Stück unzählige Dilemmata auf, die unser gesellschaftliches Leben gerade heute, in Zeiten von Angriffen auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, aufs Neue herausfordern:
Inwieweit darf der Staat in das Privatleben seiner Bürger eingreifen und ihnen einen bestimmten Lebensstil diktieren?
Welche Freiheiten sind für unsere Gemeinschaft existenziell und wie sind sie mit dem Bedürfnis nach Sicherheit vereinbar?
Welche Bedeutung wollen wir großen und auch interpretationsbedürftigen Begriffen wie "Patriarchat", "Demokratie", "Feminismus" und "Freiheit" in unserer modernen Gesellschaft verleihen?
Sollten wir Entscheidungen ausschließlich rational und auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse treffen, oder sollten wir auch unserem Herzen Gehör schenken?
Mit Spielfreude und überraschender Leichtigkeit, gepaart mit dem nötigen Ernst für ein solch düster-dystopisches Szenario, begab sich das Ensemble der Württembergischen Landesbühne Esslingen am Abend des 14. Mai 2024 auf eine Spurensuche nach Antworten, die für eine Gruppe von Schüler*innen der Leistungsfächer Deutsch des IKG zu einer eindrucksvollen Erfahrung wurde.
Die Inszenierung zeigte dabei interessante Abweichungen vom Text der Romanvorlage. Besonders auffällig waren die deutlichen Raffungen der Handlung, die dem Stück eine neue Dynamik verliehen. Ein bemerkenswerter Aspekt bestand für die Schüler*innen in der Umgestaltung der Verteidigung des Rechtsanwalts zu einem persönlichen Rachefeldzug: Statt nur die Unschuld seiner Mandantin zu verteidigen, kämpfte er gegen das totalitäre Regime, das sein eigenes homosexuelles Begehren zu unterdrücken sucht. Diese Veränderung fügte der Theaterfassung eine zusätzliche emotionale Ebene hinzu und verstärkte die politische Aussage des Stückes.
Unterstützt durch die einfache Bühnenkulisse und die reduzierten technischen Mittel beeindruckte das Ensemble der Württembergischen Landesbühne Esslingen mit einem intensiven Spiel, das die jungen Zuschauer*innen in seinen Bann zog. Alle Darsteller*innen verkörperten ihre Rolle mit einer Intensität und Hingabe, die das Publikum mitriss und zum Nachdenken anregte.
Insgesamt war der Theaterbesuch ein beeindruckendes Erlebnis, das den Schüler*innen und Lehrkräften neue Perspektiven auf gesellschaftliche Themen eröffnete und lange nachhallen wird. Die Inszenierung von "Corpus Delicti" erwies sich als eine eindringliche Mahnung, die uns daran erinnert, die Werte der Freiheit und Demokratie zu schützen und für sie einzustehen.
\ Gz
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